Sven Bergelt

Johanna Reich - DER BLICK AUF DIE WELT

Nach den Jahren der Digitalisierung sind wir im Post-Digitalen Zeitalter angekommen. Aus dem Hier und Jetzt ist ein Überall und Immerzu geworden, “Bilderstürme” erzählen unser Leben in immer rasanterem Tempo, bestimmen unseren Alltag. Um diesem Wandel habhaft zu werden, kann man zwar die Bilderflut nicht eindämmen, wohl aber der überbordenden Schnelligkeit auf andere Weise Einhalt gebieten und die Frage stellen, was von all den Bildern bleibt. So wie zu früheren Zeiten als analoges Fotomaterial noch teuer war und nur zu wichtigen Anlässen fotografiert wurde und so zwangsläufig eine Auswahl von Augenblicken im Leben entstand, möchte ich nun die Bilder herausfiltern und hervorheben, die aus der großen Bilderflut herausstechen. Gibt es “die” wichtigen Bilder unserer Zeit überhaupt? 

Im Projekt DER BLICK AUF DIE WELT forsche ich nach Bildern, die sich von der Bilderflut absetzen - die “bleiben” - und sich ins globale wie persönliche Gedächtnis eingebrannt haben. 

Personen zwischen 20 und 90 Jahren werden gefragt, ein für sie “bleibendes” fotografisches Bild der Zeitgeschichte der letzten 100 Jahre zu benennen und ihre Auswahl zu begründen. Die Antwort wird als Audiodatei aufgezeichnet, das ausgewählte Bild als Lichttattoo auf den menschlichen Körper projiziert, wobei beide miteinander verschmelzen. Dieser Prozess wird als Foto festgehalten. Durch den analogen Prozess des Projizierens auf die menschliche Haut findet ein `Begreifen` des Bildes statt, es schreibt sich durch diesen Vorgang in die menschliche Haut ein. Die Audiodatei kann während der Betrachtung des Fotos über Kopfhörer angehört werden und eröffnet einen persönlichen Blick auf ein globales Bild. 

Reich, Johanna

geb. 1977 in Minden, lebt und arbeitet in Köln. Sie studierte Freie Kunst an der Kunstakademie Münster bei Guillaume Bill und Andreas Köpnick, an der HfBK Hamburg bei Wim Wenders. Sie absolvierte einen Postgraduierten-Studiengang Medienkunst an der Kunsthochschule für Medien, Köln bei Matthias Müller und Mischa Kuball sowie Austausch und Artist-in-Residence Programme in den USA, Israel, Spanien, Luxemburg und Rumänien. Johanna Reich wurde u.a. mit dem japanischen Excellence Prize for Media Arts, dem Förderpreis des Landes NRW für Medienkunst, dem Konrad von Soest Preis und dem Nam June Paik Award Förderpreis ausgezeichnet. Ihre Arbeiten sind in zahlreichen internationalen Ausstellungen und Sammlungen vertreten, u.a. in der Sammlung Goetz München, im Tokyo Metropolitan Museum of Photography und der Jerry Speyer Collection New York. 

www.johannareich.com 

PDF: Der Blick auf die Welt - Interviews

Alice Musiol- 12 qm

Wir werden medial mit Bildern von Wohlstand und Armut in der ganzen Welt konfrontiert, ebenso mit den physischen und psychischen Folgen der beiden Extreme. 

Im europäischen Raum stehen statistisch jedem Menschen 12 Quadratmeter als Wohnraum zur Verfügung. Da diese persönliche Zone aber nicht selbstverständlich ist, habe ich den Raum aus Seide markiert: Edles, luxuriöses Material für ein Ideal von Lebensraum. Man kann den Raum betreten und die 12 qm „nachspüren“. Wahrscheinlich wird man feststellen, dass in unserer Gesellschaft jeder mehr Raum zur Verfügung hat, als ihm eigentlich statistisch zusteht. 
Gleichzeitig ist dieser Raum instabil und bei jedem Windhauch in Bewegung. Er ist semi-transparent, also auch nicht wirklich blickdicht. Wie eine dünne Haut, die einen umgibt. 

Alice Musiol

Geb. 1971 in Kattowitz, Polen; 1981 Übersiedlung in die BRD; lebt und arbeitet in Köln; Kunststudium von 1993 bis 96 an der Academie Beeldende Kunsten, Maastricht und von 1996 bis 99 an der Kunstakademie Düsseldorf bei A.R. Penck, Meisterschülerin. Seit 1998 zahlreiche Einzelausstellungen, zuletzt im Museum Abtei Liesborn 2016; seit 1995 internationale Preise und Stipendien, wie u.a. Kunstpreis der Stadt Bonn 1998, Projektstipendium der Kunststiftung NRW mit Aufenthalt in Kanada 2003, Dorothea-Erxleben-Programm des Landes Niedersachsen 2013 – 15, Deutsche Akademie Rom Casa Baldi 2017.

www.alicemusiol.de 

 

Norvin Leineweber – ‚In seinem Raum’

Seit 20 Jahren beschäftige ich mich mit den Kippmomenten zwischen sakraler und profaner Raumerfahrung. Konkreter Ausgangspunkt für diese Idee sind zum einen die Reliefs meiner Serie Konspekte, in denen ein tragender grundlegender Raum durch kommentierende Raumelemente ergänzt wird. Zum anderen ist es die Rauminstallation Undurchsichtige Zustände des rein Durchsichtigen, in der ein Übergang vom konkret dinglichen Raum in einen erlebten, perspektivischen Tiefenraum geschaffen wird. Diese sukzessive Raumverwandlung, für die sowohl Altarräume als auch Wohnräume den Hintergrund stellten, möchte ich nun innerhalb des Reliefs unter Einbeziehung des umgehenden Raumes realisieren. 

Zugleich Nachbild eines Kultraumes und Freilegung des Raumgrundes, lässt die Andeutung eines Tiefenraumes, ergänzt durch einige bühnenartige Raumkompartimente mit einem losen Bezug zur Liturgie, offen, ob der Raum gerade erst eingerichtet oder aber aufgelöst wird. In der Ambivalenz von gedeutetem und ungedeutetem Raum spiegelt sich gewissermaßen die Ambivalenz des Bildersturmes, der einerseits den reichhaltigen liturgischen Raumbezug zerstört, diesen Verlust aber andererseits durch die Reduktion auf das Wesentliche zu einer Klärung führt.  

Der Kirchenraum von St. Helena bietet dafür den idealen Rahmen, da er abgesehen von einer zentralen Altarmensa nur noch Spuren seiner ehemaligen Nutzung aufweist: Ein geistiger Raum, der daher immer wieder neu gefüllt und erfunden werden kann. Der mehrdeutige Titel „In seinem Raum“ verweist zudem auf die Frage nach der Urheberschaft des Raums.

Norvin Leineweber 

geb. 1966 in Rees, lebt und arbeitet in Boslar. 
Studium an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf von 1987 bis 1994; Meisterschüler von Günther Uecker. 1990/91 Studienjahr an der Akademie výtvarných umení in Prag bei Stanislav Kolibal. 
Seine Arbeiten waren in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen vertreten, u.a. mit Einzelpräsentationen im Mies van der Rohe Haus Berlin sowie in den Kunstvereinen von Ahlen, Wesel und Würzburg. 2015 wurde ihm der erste Preis im Kunst-am-Bau-Wettbewerb Deutscher Bundestag - Wilhelmstraße 64 für den ‚Kunststandort Foyer im Erdgeschoss und Innenhof’ zugesprochen. Sein Projekt Lichtung wird voraussichtlich 2017 realisiert. 

www.norvin-leineweber.de 

Wjm Kok - Weißer Würfel

Lutherkirche

Ein massiver Würfel, 1 x 1 x 1 m, aus weißem Zement, wird am Tag der Eröffnung des ‚Bildersturm’-Projekts vor dem Eingang der Lutherkirche installiert.

Der Würfel oder Hexaeder gehört zu den fünf platonischen Körpern, die eine größtmögliche Symmetrie auszeichnet. Während sich eine seiner sechs quadratischen Seiten der Sichtbarkeit geradezu spürbar entzieht durch das massive Gewicht, das auf ihr lastet, sehen wir von den übrigen fünf maximal drei Flächen gleichzeitig. Dass er sich trotz seiner physischen Präsenz in seiner mathematischen Ganzheit visuell nicht erfassen lässt, verweist zudem auf seine metaphysischen Qualitäten.

Mit seinen gleichmäßigen Oberflächen, deren Weiß das Licht maximal reflektiert, ist der Würfel als solcher das Manifest eines geometrischen Ideals, ebenso zweckfrei wie bedeutungslos. Ein neutraler Gegenstand, in dem Zeit und Geschichte und damit auch eine Geschichten erzählende Kunst aufgehoben sind. Ein Zeugnis der Stille und des Schweigens. 

Er steht jedoch nicht für sich alleine. Die Interaktion in und mit einem komplexen thematischen und örtlichen Bezugssystem verleiht ihm Bedeutung, ermöglicht Sinngebung, transformiert ihn nicht zuletzt in einen ‚Stein des Anstoße(n)s’: So stört er als Hindernis vor der Eingangstüre die Selbstverständlichkeit, und verzögert - für einen AugenBlick - den Zugang zu einer Kirche, deren Namensträger vor 500 Jahren mit dem Anschlag seiner 95 Thesen an einer anderen Kirchentüre einen Sturm auslöste, dessen Auswirkungen bis heute andauern.

Wjm Kok

Geb. 1959 in Utrecht / NL, lebt und arbeitet in Amsterdam;
Studium an den Kunsthochschulen St. Joost in Breda und AKI in Enschede sowie an der Rijksakademie van Beeldende Kunsten in Amsterdam 1980 bis 1986; Auszeichnungen 1989 mit dem Prix de Rome für Malerei und 1990 mit dem Königlichen Preis für Malerei, Amsterdam; seit 1997 Autor kunstkritischer Texte, 2013 Promotion an der Universität Leiden; seit 1989 zahlreiche Einzelausstellungen und Beteiligungen international; Lehrtätigkeit an der Gerrit Rietveld Academie in Amsterdam, Abteilung Bildende Kunst

www.galerievangelder.com/artists/kok2.html 

Mit freundlicher Unterstützung von:

  • Dr. Ruth Hacker-de Graaff und Günter de Graaff
  • Bauunternehmung Kratz